Wie der Kurswechsel vom Stahlerzeuger zum Technologiekonzern gelingen konnte
Veränderungen stellen für die meisten Menschen eine enorme Herausforderung dar. Denn sie bedeuten das Verlassen von Gewohntem, von oft liebgewonnenen, jeden- falls aber verinnerlichten Gewohnheiten. In einem Unternehmen, erst recht in einem Konzern mit Hunderten Einzelunternehmen, und noch viel mehr, wenn es geschäft- lich ohnehin gut läuft, gehört Verändern deshalb zu den schwierigsten und mühe- vollsten Aufgaben.
In so einer Phase hat sich die voestalpine kurz nach der Jahrtausendwende befunden. Der Schritt in Richtung Privatisierung war geglückt, alles schien wie am Schnürchen zu laufen. Trotzdem – oder eigentlich gerade deswegen – stellte sich die Frage: Wo geht die weitere Reise hin? Die Welt begann sich schneller als je zuvor zu verändern, die Globalisierung gewann von Monat zu Monat an Dynamik, die EU vergrößerte sich, China war auf dem Marsch in die Weltmärkte, Fusionen und Übernahmen prägten gerade die Stahlindustrie, die Konkurrenz wuchs im Eilzugstempo.
Aber: Billigen Stahl und einfache Produkte daraus konnte die ganze Welt produzieren, einfach nur viele Millionen Tonnen mehr vom selben schien nicht unbedingt der Weisheit letzter Schluss. Da musste es etwas anderes, strategisch Sinnvolleres geben, so nach dem Motto „Nicht mehr Stahl, sondern mehr aus Stahl“. Mehr Qualität, mehr Wertschöpfung, mehr Innovation, mehr Technologie. Das war es: ein Technologiekon- zern, dessen Produkte niemand mehr ohne weiteres gegen andere austauschen können sollte. Die voestalpine als Stahlkonzern, als Stahlkocher, als belächelte „Mühlviertel AG“ sollte der Vergangenheit angehören. Die Bereiche Automotive, Eisenbahn-Infrastruktur und Energie wurden als Wachstumsschwerpunkte definiert. Mit milliardenschweren Investitionsprojekten in Linz und der Steiermark, aber auch Akquisitionen im Ausland sollte die neue Strategie umgesetzt werden. Konsequente Internationalisierung auch über Europa hinaus war angesagt.
Anfangs haben sich viele Mitarbeiter mit der neuen Maxime „Nicht mehr Stahl, sondern mehr aus Stahl“ nicht immer leichtgetan. Doch mit dem Erfolg begann sich das Bild auch in ihren Köpfen zu wandeln. Es entstand – massiv unterstützt durch ein auf breiter Basis verbessertes Wirtschaftsverständnis im Rahmen des damals imple- mentierten Modells der Mitarbeiterbeteiligung – ein neuer „voestalpine-Geist“, geprägt durch Engagement, Flexibilität, Erfolgswillen und Zusammenhalt. Seine Nagelprobe bestand er ab 2008 in den schwierigen Jahren im Gefolge der Lehman-Pleite.
Die Mitarbeiter haben diesen Kurswechsel also am Ende uneingeschränkt mitgetragen. Gelungen ist das durch viel Überzeugungsarbeit des Managements, schon damals nach innen und außen zunehmend unterstützt durch die neuen Möglichkeiten der sozialen Medien. Wichtig war aber auch die Arbeit der Belegschaftsvertreter. Das dabei ange- wandte Rezept von Konzernbetriebsratsobmann Hans-Karl Schaller: Wenn ich etwas verändern will, muss ich die Mitarbeiter davon überzeugen, und zwar durch drei V verstehen, vertrauen, verändern. Seine Erwartung sind aufgegangen – ganz im Sinne von „one step ahead“.
Beispiele für
den Kurswechsel
voestalpine-Produkte sind in fast allen Premiumautos vertreten
Fokus auf Karosserie und Struktur, Leichtbau und Sicherheit, E-Mobilität und Werkzeuge
Weltmarktführer bei Weichentechnologie und Spezialschienen
Schwerpunkt Digitalisierung der Bahninfrastruktur
Flugzeugteile aus Hochleistungswerk- stoffen (z. B. Triebwerksaufhängung)
Einer der weltweit größten Zulieferer der Luftfahrt
Es herrscht ein neuer „voestalpine-Geist“, geprägt durch Engagement, Flexibilität, Erfolgswillen und Zusammenhalt.